Nächstenliebe — Bedeutung & Geschichte

Geschichte, Bedeutung und Übersetzung

Die gängige Definition des Begriffs Nächstenliebe bezeichnet die Bereitschaft einer Person ihren Mitmenschen zu helfen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf einem unterstützenden Handeln, und nicht auf einer emotionalen Zugewandtheit (siehe auch das Zitat von Luther weiter unten).
Diese „soziale“ Definition beruht letztendlich auf dem Prinzip des Altruismus und das entsprechende Antonym wäre dann Selbstliebe bzw. Narzissmus.

Allerdings ist es Gegenstand der Forschung wie, und mit welcher Bedeutung, der Begriff in den alten Religionen des Vorderen Orients genutzt wurde. Falls überhaupt. Denn wann haben Sie zum letzten Mal das Substantiv „Nächstenliebe“ ausgesprochen? Auch heute ist das Wort hauptsächlich im Schrifttum vorhanden und kommt in der Alltagssprache, insbesondere außerhalb religiöser Gebäude, so gut wie nicht vor.

Bibelstellen

An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin JHWH. – 3. Mose (Levitikus) 19.18

 

Das andere aber ist ihm gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ – Matthäus 22.39

Ehre Vater und Mutter; und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ – Matthäus 19.19

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ – Matthäus 5.43

Und das andere ist ihm gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Es ist kein anderes Gebot größer denn diese. – Markus 12.31

 

Er antwortete und sprach: „Du sollst Gott, deinen HERRN, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte und deinen Nächsten als dich selbst.“ Lukas 10.27

 

Denn was da gesagt ist: „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten“, und so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesen Worten zusammengefasst: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ – Brief des Paulus an die Römer 13.9

Denn alle Gesetze werden in einem Wort erfüllt, in dem: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ – Brief des Paulus an die Galater 5.14

Einige Bibelzitate zum Thema Nächstenliebe.

Synonyme

Menschlichkeit, Wohltätigkeit, Güte, Mildtätigkeit, Mitgefühl, Sanftmut, Milde, Barmherzigkeit, Menschenfreundlichkeit, Humanität, Philanthropie, Erbarmen, Mitleid, Menschenliebe, Freundlichkeit, humane Gesinnung, Idealismus.

Herkunft

Im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm (17. Jahrhundert) wird „Nächstenliebe“ definiert als „Liebe zum Nächsten, Menschenliebe“. Im heutigen Sprachgebrauch ist der Begriff schwer von den Begriffen Altruismus (Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise) und Mitgefühl / Empathie abzugrenzen.

Bibelstellen

Altes Testament

3. Buch Mose (Levitikus) 19,18

An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin JHWH.

Bibeltext der englischen King James Übersetzung

Thou shalt not take vengeance, nor bear any grudge against the children of thy people, but thou shalt love thy neighbor as thyself: I am the LORD.

Bibeltext der Nova Vulgata; also der vom Vatikan autorisierten lateinischen Übersetzung

Non quaeres ultionem nec irasceris civibus tuis. Diliges proximum tuum sicut teipsum. Ego Dominus.

Neues Testament

Matthäus 22,34–40
Als aber die Pharisäer hörten, dass er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich.

Und einer von ihnen, ein Schriftgelehrter, versuchte ihn und fragte:

Meister, welches ist das höchste Gebot im Gesetz?

Jesus aber antwortete ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«

Dies ist das höchste und größte Gebot.

Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«.

In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Diese beiden in den Versen angesprochenen Gebote werden im Katechismus auch als die „Großen Gebote“ oder das „größte Gebot“ (obwohl es ja zwei sind) bezeichnet. Im griechischen Original wird der Begriff „Agape“ verwendet.

Auslegung

Der Fachbegriff für die Auslegung biblischer Texte lautet Exegese (aus dem Griechischen exēgesis „Auslegung“, „Erläuterung“) und meint eine kritische Erklärung und Interpretation eines (religiösen) Textes.

Die Exegese umfasst eine Palette von spezifischen Disziplinen:

  • Textkritik als die Erforschung der Ursprünge und Umwandlung der Texte im Laufe der Geschichte
  • Analysen der historischen und kulturellen Hintergründe des Autors und des ursprünglich adressierten Publikums
  • Klassifizierung der im Text vorhandenen literarischen Gattungen, seiner grammatikalischen und syntaktischen / semantischen Merkmale.

Historisch gesehen entsprang die Exegese der christlichen Theologie an den Universitäten (und Hermeneutik wird teilweise synonym verwendet) jedoch lassen sich ihre Werkzeuge auch auf andere Texte anwenden.

 

Altes Testament

Die „Zehn Gebote“ des Alten Testaments kennen weder eine direkte noch indirekte Analogie zu den beiden obigen Zitaten.

Die als Alternative zur Lutherbibel angestrebte Übersetzung des hebräischen Teils der Bibel durch Martin Buber und Franz Rosenzweig Anfang bis Mitte des 20igsten Jahrhunderts, übersetzt die Stelle ganz geringfügig abweichend:

3. Buch Mose (Levitikus) 19,18
Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.

Das Alte Testament ist auf Hebräisch (das in der Schriftform ohne Vokale notiert wurde, also „lieben“ und „leben“ würden beide als LBN geschrieben, siehe auch „Punktation“) überliefert, das Neue Testament ist im Original auf Griechisch verfasst, und nach Meinung der Gelehrten sprach Jesus vornehmlich Aramäisch. Auch wenn er vermutlich auch Griechisch und Hebräisch gelernt hatte, hätten ihn die meisten Zuhörer nicht verstehen können, da eben Aramäisch die mit Abstand am weitesten verbreitete Sprache im damaligen Palästina war.

Nächstenliebe in der christlichen Gemeinde

Die Nächstenliebe ist ein zentraler Begriff der christlichen Ethik. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten gelten als gleichrangige Forderungen.

Im Zusammenspiel mit Feier (Liturgia) und Verkündigung / Zeugnis (Martyria) ist die tätige Nächstenliebe (griech.: Diakonia, lat.: Caritas) einer der drei Grundvollzüge christlicher Gemeinde bzw. Kirche.

Übersetzung

Zunächst einmal existiert das Substantiv „Nächstenliebe“ weder im Alten noch im Neuen Testament. Wann genau es sich aus dem Text der Luther-Übersetzung entwickelt hat ist Gegenstand der Forschung, aber auf jeden Fall ein germanisches Phänomen.
Das zeigt auch sehr deutlich, dass die deutsche Wikipedia diesen Begriff (den sie mit sage und schreibe 8.100 Wörtern umschreibt; Stand April 2016) auf nur 14 weitere Sprachen verlinkt, und z.B. auf die englische Seite „Great Commandment“ als analoge Seite (1.500 Wörter) verweist (links im Menü unter „In anderen Sprachen“). Um einen Anhaltspunkt zu haben, wie andere Begriffe verlinkt sind:

Liebe verweist auf 134 Sprachen
Glaube verweist auf 64 Sprachen

Noch ein anderes Zahlenbeispiel: Die beiden Suchbegriffe   „Nächstenliebe“   und auch   „Liebessprüche“   werden bei Google jeweils auf etwa 1.300.000 Seiten gefunden.

Andere Sprachen

Französisch

Tu ne te vengeras pas et tu ne garderas pas de rancune envers les membres de ton peuple, mais tu aimeras ton prochain comme toi-même. Je suis l’Eterne.

Englisch

Thou shalt not avenge, nor bear any grudge against the children of thy people, but thou shalt love thy neighbour as thyself: I am the LORD.

Italienisch

Non ti vendicherai e non serberai rancore contro i figli del tuo popolo, ma amerai il prossimo tuo come te stesso1. Io sono il Signore.

Spanisch

No seas vengativo con tu prójimo, ni le guardes rencor. Ama a tu prójimo como a ti mismo. Yo soy el Señor

Portugisisch

Não procurem a vingança, não alimentem a má vontade contra ninguém. Amem o vosso próximo como a vós mesmos, porque eu sou Jeová.

Da vielen Sprachen der direkte Begriff “Nächstenliebe” fehlt, wird es häufig, wie zum Beispiel im Englischen, mit Begriffen wie “charity, philanthropy, altruism, humanitarian“ übersetzt, die freilich den deutschen Kontext nicht wiedergeben.

Caritas

Gerade das englische „charity“ hat ganz eindeutig einen Handlungsbezogenen Kontext (der auch tief in der amerikanischen Kultur verwurzelt ist) und lässt sich am besten mit „Wohltätigkeit“ übersetzen (aber auch Großzügigkeit, Güte, Freigiebigkeit, Wohlwollen, Gutmütigkeit, Uneigennützigkeit, Schenkung und Almosen sind mögliche Bedeutungen)
Der Begriff stammt vom lateinischen „caritas“ (Hochachtung, hingebende Liebe, uneigennütziges Wohlwollen; Deutsch: Karitas) und über den hat sich der Kirchenvater Thomas von Aquin in epischer Breite ausgelassen:

Sed caritas qua diligitur Deus et proximus, est perfectissima amicitia. [Lateinisch]

But charity, by which God and neighbor are loved, is the most perfect friendship. [Englisch]

Aber die Liebe, mit der Gott und der Nachbar geliebt werden, ist die perfekte Freundschaft. [Deutsch]

 

Respondeo. Dicendum, quod caritas nullo modo potest simul esse cum peccato mortali. [Lateinisch]

I answer. It must be said that charity can, in no way, exist along with mortal sin. [Englisch]

Ich antworte. Es muss gesagt werden, dass die Nächstenliebe in keiner Weise zusammen mit der Todsünde existieren kann. [Deutsch]

 

 

Und passend zum Thema „Caritas“ ein gleichnamiges Lied (auf Lateinisch und Englisch) des zum Islam konvertierten, und seit dem quasi nicht mehr gesehenen, Sängers Cat Steven aus dem Jahr 1972; etwa 3 Minuten und 30 Sekunden lang.